Dafür, daß Detlef Kirchhoff aus dem Dortmunder Achter 1992 mit stattlichen 2,08 Metern dreißig Zentimeter länger ist als sein Lieblings-Jünger Hans Lenk aus seinem Ratze(burg)-Kieler Achter 1960, kann Karl Adam nichts. Wenn die Achter heute dreißig Sekunden schneller im Ziel sind, die Boote dreißig Kilo leichter sind, würde es einen achtzig Jahre alten Karl Adam unbändig und neidlos freuen. Aber er starb schon 1976 – viel zu früh – als 64jähriger. Am 2. Mai 1992 wäre er achtzig geworden.
Seine geniealen Ideen, die den Rudersport der Welt in den fünfziger und sechziger Jahren revolutionierten, gelten bis heute. Ja, sie gelten gerade im deutschen Rudersport 16 Jahre nach seinem Tode, ohne angezweifelt ‘ zerredet, bekämpft zu werden. Man darf “adanütisch” sagen: Grundsätze der Leistung und ihre Philosophie bleiben auf allen Gebieten und zu allen Zeiten gültig. Erst wenn jede neue Generation von Athleten und Trainern das Gefühl hat, das Rad – den Rudersport – neu erfunden zu haben, erst dann ist die Hingabe für ein im Grunde brotloses Ziel, wie es eine Goldmedaille im Achter noch immer ist, möglich.
Karl Adam hat diese notwendige Einstellung seinen Athleten vermittelt und ausnahmslos ein Optimum an Leistungsbereitschaft erreicht. Und er hat seinen Ruderem die zu seiner Zeit besten Möglichkeiten zur Verbesserung der sportlichen Leistungsfähigkeit an die Hand gegeben. Er übertrug seine wissenschaftlichen Erkenntnisse so simpel und plausibel in die Praxis, das Fortschitte fast ohne Zeitverlust für Ruderer und ihn selbst überprüfbar waren.
Adam preßte keinen in ein Bewegungsschema. Technik-“Lehrer” waren das Skiff und der Zweier ohne Steuertnann, die schwierigsten Boote der Ruderflotte.
Adam erkannte sofort die Schwachstellen des traditionsbefrachteten Rudersports. Er steigerte die Kraft durch Arbeit mit der Scheibenhantel. Er kopierte das Intervalltraining der Leichtathletik zur Verbesserung der Kreislaufleistung. Intervallzeiten und Rennzeiten wurden auf einfache Faustregeln gebracht.
Adam regulierte Schlagzahlen und Schlagrhythmus nicht durch überlieferte Meinung, sondem durch Ausprobieren im Boot.
Adam verbesserte die physikalische Zweckmäßigkeit des Rudergeräts durch Veränderung von Hebelverhältnissen und Blattforrnen. Auch brachte er die Bootsbauer auf den Weg zum Leichtbau.
Adam trainierte seine Achtermannschaften zu sechzig Prozent im Einer oder Zweier. Seine Ruderer konnten so die eigene Leistungsfähigkeit und die der Bootsbauer genauestens einschätzen.
Adam diskutierte Erkenntnisse mit seinen Athleten. Probleme wurden gemeinsam bewältigt. Zielsetzung, Renntaktik waren Teamarbeit von Trainer und Ruderer. Adam stellte sich im Zusammenspiel der Beteiligten immer selbst in Frage.
Alles war beileibe nicht perfekt, aber so einfach, übersichtlich, überzeugend, daß seine Ratzeburger Methoden weltweit übemommen wurden. Zum Vorteil des Athleten, der – so Karl Adam – das fundamentale Recht hat, nach den besten Methoden zu trainieren. Weil er nicht verheimlichte, sondem freigiebigst verriet, haben sich die Methoden schnell angeglichen. Und die Erfolge fielen seinerzeit und fallen heute dorthin, wo es mehr Menschen, mehr Mittel gibt, wie das die so erfolgreiche Gruppe des Dortmunder Leistungszentrums beweist.
Karl Adam, der kantige Mann mit Lederwams und Schlägerinütze, mit Rechenschieber und Stoppuhr war nicht nur Trainer, Ausbilder, Sportler, er war Theoretiker, Kritiker, Philosoph, Schriftsteller – ein Mensch, der viele junge Männer und Frauen begeisterte, sich voll und freiwillig für ein hohes Leistungsziel einzusetzen. Autorität wuchs ihm zu, weil er an sich selbst den Maßstab höchster Leistung und Redlichkeit legte. Er überzeugte durch Argumente oder scheiterte, wenn Anhänger oder Gegner seiner Beweisführung nicht folgen konnten oder wollten.
Vielleicht wird ihn Ralf Holtmeyer, so etwas wie der”Trainer 2000″ des Ruderpsorts, übertreffen, was bei 29 Medaillen der von Adam trainierten Ruderer nicht leichtfallen wird. Lebte Adam noch, würde er das Holtmeyer von Herzen gönnen. Er würde auch schmunzeln, wenn er läse, das Stuttgarts Meister-Coach Christoph Daum Aggressionen nach Adam-Rezepten bewältigt.
Karl Adam wird – vielleicht als intellektuellster Trainer des Sports überhaupt unerreichbar bleiben. Er ist ein Glücksfall für den Rudersport gewesen, mehr als Anhänger und Gegner meinen. Mit Sicherheit sehen seine Ruderer, denen er Trainer, Lehrer, Berater, Anreger über das Boot hinaus war, das Adam -Bild korrekt. Auch vor mehr als zwanzig Jahren ruderten sie in erster Linie für sich selbst nicht so sehr für Deutschland, für Ratzeburg oder einen anderen Klub. Sie ruderten aber immer ein bißchen für Karl Adam und seine Idee.
von Moritz von Groddeck aus Heft 3/1992 »Olympisches Feuer«